Dienstag, 22. Oktober 2013

Fotografieren mit Cinefilm II - oder: Aller Anfang ist schwer

Die Frage "Warum sollte man so etwas tun?" habe ich im letzten Artikel nur unvollständig beantwortet. Gereizt hat mich das Thema schon lange, aber erst kürzlich bin ich durch einen netten Kollegen in meinem Lieblingsfotoforum günstig an gut 600 Meter Kodak Vision2 500T 5260 gekommen. Falls er das hier liest: Vielen Dank nochmal an dieser Stelle!

305m (1000ft) KODAK Vision2 500T
 
 Es handelt sich dabei um einen Farbnegativfilm mit einer Empfindlichkeit von ISO 500/28°. Er ist für eine Farbtemperatur von 3200K +-150K ausgelegt, wo er auch die Nennempfindlichkeit erreicht. Daher kommt wohl auch der Name 500T: 500 ASA bei Glühlampenlicht. Das T steht demnach vermutlich für Tungsten (deutsch: Wolfram), dem Werkstoff von Glühlampenwendeln. Für Tageslichtaufnahmen (Farbtemperatur: 5500K laut Kodak-Spezifikation) wird ein Wratten-Gelatinefilter 85 empfohlen, wobei der Film dann mit 320 ASA belichtet werden soll. [1].
 
Nachdem die beiden 305m-Rollen bei mir eingetroffen waren, war die erste Frage "Wie sieht der Film denn im Vergleich mit normalem, in C-41 zu verarbeitendem Negativfilm aus?".
 
Um das zu klären, habe ich mich entschieden, ein paar Zentimeter des Films zu opfern. Folglich habe ich in einem völlig abgedunkelten Raum die Filmdose geöffnet, die Rolle aus ihrer Plastikfolie entnommen und den Klebestreifen am Filmende entfernt, um ein Stück abzuschneiden. Dabei sind mir zwei Dinge aufgefallen: Beim Öffnen der Plastikfolie gab diese in der Dunkelheit schwache, grünliche Lichtblitze von sich. Da ich nicht sicher sein konnte, dass diese den Film nicht belichten, habe ich die Rolle nur sehr, sehr langsam aus der Folie genommen, um weitere Lichterzeugung zu vermeiden. Nachdem die Rolle ausgepackt war, habe ich beim Lösen des Klebestreifens Tribolumineszenz hervorgerufen. Diese Lichtblitze waren bläulicher und wirklich deutlich heller als die durch die Plastikfolie hervorgerufenen. Ob ich dabei die darunter liegende Filmlage belichtet habe, ist momentan noch offen. Bleibt zu hoffen, dass die rem-jet-Beschichtung das verhindert hat.
 
Nachdem die Rolle wieder eingepackt und die Dose verschlossen war, ging es bei Licht an die Begutachtung des geernteten Streifens. Zwei Dinge fallen auch hier auf: Der kleinere Unterschied zwischen Kodak Vision2 und fotografischem Film liegt in der Perforation. Ersterer ist nach BH perforiert, letzterer hingegen nach KS. Dieser Umstand macht jedoch keine Probleme, da der Film dennoch einwandfrei in Fotoapparaten verwendet werden kann. Der viel größere Unterschied zwischen Cine- und fotografischem Film liegt jedoch in der bereits erwähnten rem-jet-Beschichtung, die auch sofort als schwarzer, matter bis glänzender Belag auf der Rückseite des Filmträgers ins Auge fällt.

Oben Kodak Vision2, unten Agfa APX100. Deutlich zu sehen sind die unterschiedlichen Perforierungen und die schwarze rem-jet-Beschichtung.
 
 Laut Kodak wird diese Beschichtung korrekterweise vor der Filmentwicklung entfernt. Auf flickr habe ich jedoch eine Beschreibung gefunden, in der ein Heimverarbeiter sie erst nach dem Bleichfixierbad entfernt hat und keine Probleme damit hatte. Er schreibt "A little baking soda and water and it came right off!"[2]. Da in einfachem Leitungswasser der rem-jet-Schicht nicht beizukommen war und auf die Schnelle kein "baking soda" (= Natron) oder Waschsoda aufzutreiben war, habe ich es aus Verfügbarkeitsgründen einfach mal mit normaler Handseife versucht. Soll heißen: Ich stand im Bad und sah das Stück Seife auf dem Waschbeckenrand liegen. Und siehe da - sofort begann sich die schwarze Schicht abzulösen und floss den Ausguss hinunter. Bloß etwas Seife mit dem nassen Finger aufgenommen und ganz leicht unter minimal fließendem Wasser über die Trägerseite des Films gerieben und nach Sekunden war der Film vom rem-jet erlöst.
 
Nachdem die grundsätzliche Entfernbarkeit das Prädikat "erstaunlich einfach" erhalten hat, ging es an eine kleine Testreihe in Schwarzweiß-Chemie (Kodak XTOL, Stock und ADOLUX ADOFIX, 1+9). Das C-41-Kit befindet sich derzeit noch auf dem Weg zu mir. Davon abgesehen ist es für mich auch stark von Interesse, wie sich der Film schwarzweiß entwickelt macht.
 
Zunächst habe ich vier Teststreifen geschnitten, wobei die rem-jet-Schicht noch vorhanden war.
  • Streifen 1 wurde nur im Entwickler gebadet.
  • Streifen 2 wurde nur im Fixierer gebadet.
  • Streifen 3 wurde zunächst im Entwickler und anschließend im Fixierer gebadet.
  • Streifen 4 kam gar nicht mit der Chemie in Berührung und dient zu Vergleichszwecken.
 
Die Temperatur der Chemie lag bei Raumtemperatur, also wohl knapp über 20°C. Gebadet wurden die Filmstreifen jeweils ca. 5 Minuten (gefühlsmäßig, ich habe nicht auf die Uhr geschaut).
 
Im Anschluss wurden die vier Streifen in der Mitte halbiert und die zweite Hälfte (nennen wir sie B) wieder mit Seife unter fließendem Wasser behandelt, um die rem-jet-Schicht noch zu entfernen.
 
Das Ergebnis ist hier in Form eines schlechten Handyfotos dargestellt:
 
 
Man erkennt natürlich nicht viel, daher beschreibe ich die Ergebnisse im Folgenden noch weiter.
  • Streifen 1A ist entwickelt und auf Grund der langen Belichtung komplett geschwärzt. Die Rückseite glänzt mehr als beim unbehandelten Streifen 4A.
  • Streifen 2A sieht fast genauso aus. Hält man ihn gegen das Licht, erscheint er aber etwas orange.
  • Streifen 3A ist quasi nicht von Streifen 1A zu unterscheiden. Auch hier glänzt die Rückseite mehr als bei Streifen 4A.
  • Streifen 4A wurde ja weder entwickelt, noch fixiert und sieht daher aus wie frisch von der Rolle: hinten die matte bis glänzende rem-jet-Schicht, vorne auf der Emulsionsseite graubraun.
 
Jetzt zum wirklich sehr interessanten Teil - die mit Wasser und Seife behandelten Hälften:
  • Streifen 1B sieht exakt genauso aus wie Streifen 1A. Wasser und Seife haben keine Veränderung gebracht. Auch starkes Reiben konnte keine Schicht entfernt werden und die erwartete Schwärzung des Abwassers blieb ebenfalls aus.
  • Streifen 2B ist nun relativ klar orange geworden, wie man es von der Maske normaler, fotografischer Filme nach der C-41-Entwicklung kennt. Hier ist es leicht zu erkennen, dass sich die rem-jet-Schicht abgelöst hat.
  • Streifen 3B sieht (wie schon Streifen 1B) wieder aus wie seine entsprechende Hälfte 3A. Auch mit viel Reiben, Wasser und Seife löste sich nichts.
  • Streifen 4B ist relativ klar und lila geworden. Das hat sich schon im Vorversuch gezeigt und war auch nicht anders zu erwarten.

Die große Frage: warum lässt sich vom entwickelten Film keine rem-jet-Beschichtung mehr entfernen? Hier gibt es von meiner Seite zwei Ansätze zur Erklärung:
  1. Die Beschichtung wurde durch den Entwickler aufgelöst/absorbiert/zersetzt etc und ist tatsächlich nicht mehr auf dem Filmträger vorhanden.
  2. Die Beschichtung hat sich durch den Entwickler untrennbar mit dem Filmträger verbunden/ist hineindiffundiert/hat nicht mehr entfernbare Reaktionsprodukte gebildet.
 
Aufgrund akuter Ratlosigkeit und mangelnder Chemie-Kenntnisse habe ich kurzerhand ein mechanisches Abrasionsexperiment eingeleitet. Bei allen vier Streifen wurden jeweils nacheinander Teil A und Teil B mit einer Messerklinge mehrfach auf der Filmträgerseite eingeritzt. Beurteilt wurden die Späne und der sich ergebende, optische Eindruck des gegen das Licht gehaltenen Streifens.
  • Streifen 1A lieferte klare bis milchig-weiße Späne. Der Durchblicktest lieferte keine neuen Erkenntnisse (alles dunkel auf Grund der entwickelten Emulsionsseite)
  • Streifen 1B genau wie Streifen 1A.
  • Streifen 2A lieferte schwarze Späne. Der Durchblicktest ergab an den erodierten Stellen orange durchscheinendes Licht.
  • Streifen 2B lieferte klare bis milchig-weiße Späne. Der Durchblicktest lieferte keine neuen Erkenntnisse (alles orange transparent, außer an den erodierten Stellen Kratzspuren)
  • Streifen 3A genau wie Streifen 1A.
  • Streifen 3B genau wie Streifen 3A.
  • Streifen 4A lieferte schwarze Späne. Der Durchblicktest ergab an den erodierten Stellen lila durchscheinendes Licht.
  • Streifen 4B lieferte klare bis milchig-weiße Späne. Der Durchblicktest lieferte keine neuen Erkenntnisse (alles lila, außer an den erodierten Stellen Kratzspuren)
 
Diese Ergebnisse deuten auf Erklärungsansatz 1 hin. Zu klären bleibt noch, woher der lilane Ton des Streifens 4B kommt. Befindet sich die Farbe im Träger, in der Emulsion oder nimmt möglicherweise die Seife erheblichen Einfluss? Aufschluss könnte der erneute Durchblicktest der Probe 4A bringen. In diesem Zusammenhang ist möglicherweise noch interessant, dass der Streifen 4A bei der Trocknung durch ein Stück Küchenpapier auf eben diesem eine lilane bis rosane Färbung hinterlassen hat (im Bild oben links schwach zu sehen). Die Ergebnisse der Untersuchung werden selbstverständlich hier veröffentlicht.
 
Soviel erstmal zu meinem kleinen Vorexperiment. Mehr/bessere Bilder gibt's in ein paar Tagen, wenn ich dazu komme.

ERGÄNZUNG vom 27.10.2013: Der Durchblicktest ergibt  - wie oben bereits korrigiert - lila durchscheinendes Licht. Somit erscheint der Einfluss der Seife widerlegt.

Quellen:
[2]: Justin Cary: ECN-2 processed C41, http://www.flickr.com/photos/justincaryphotography/7562959354/, 2012

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